Ottava edizione 2015 • segnalato sezione inediti

Mi smo preklete, duje krivapete

Paola Cicuttini • Übersetzungen von Juliana De Angelis

Paola Cicuttini

Ich bin 1971 in Cividale del Friuli (Provinz Udine) geboren. Nach dem Studium der Internationalen und Diplomatischen Wissenschaften an der Universität Triest habe ich fast 10 Jahre lang im Ausland (Nordafrika, Madagaskar, Thailand) gelebt und dort im Tourismusbereich gearbeitet. 2004 bin ich nach Italien zurückgekehrt und bin derzeit als Übersetzerin tätig. 2007 habe ich für den Verlag Mondadori ein Handbuch über das Thema Onlineshopping herausgegeben und dieses Jahr wurde mein erster Roman „Tettigonie viridissime“ – die Geschichte einer Gruppe Triester Freunde – herausgegeben. Erzählungen habe ich praktisch noch nie geschrieben. Genauer gesagt ist die Erzählung, die ich für Grenzen geschrieben habe, meine zweite, und ich bin ihr ziemlich stark verbunden, weil darin die Orte meines Herzens vorkommen, die, wo meine Familie herkommt und die, wo ich einen Teil meiner Kindheit verbracht habe. 

BegrÜndung der Jury

Die wilden, verdammten "Krivapete" dieser Erzählung – Hexen, Magierinnen, Zauberinnen – kommen aus einem zeitlosen Ort. Und überraschen uns. Eine schnörkellose, umhüllende, evokatorische Erzählweise begleitet diese Wesen und auch uns Leser. Als symbolische Figuren, Bestandteil der Natur selbst, Botinnen des endlich entfesselten Verlangens, Andenken an eine magische Zeit – denen die Jury mit der höchsten Auszeichnung Tribut gezollt hat –, sprechen die Krivapete auch zu unserer oft so gefühllosen und ungewissen Zeit. Zumindest einen Augenblick lang scheinen Tränke, Heilmittel und Salben auch die Wunden der unsicheren Schritte heilen zu vermögen, die wir täglich auf den Wegen einer kranken Moderne zurücklegen. Über letztere können die wilden Krivapete nur so spotten im Dickicht des Zauberwaldes, den uns diese unzeitgemäße – und daher umso wertvollere – Erzählung schenkt.

IL RACCONTO

Seit ferner Zeit wachen wir von unseren Höhlen aus über diese unermüdlichen Täler, über den Matajur, und sammeln Kräuter, um Menschen und Tiere, Körperleiden und Seelenqualen zu heilen. Wurzeln, Sprossen und Blumen haben keine Geheimnisse für uns, sie helfen uns, Wunden zu schließen, die Liebe anzulocken, Mut einzuflößen, die Erde zu ehren. Meine weisen Schwestern, mit Augen so blau wie Vergissmeinnicht, haben mir ihre Jahre geschenkt und das Geheimnis von Tränken, Heilmitteln und Salben gegen jede Krankheit verraten. Ich fülle die tiefen Taschen meines moosfarbenen Rocks mit kostbaren Gaben, während der intensive Duft der Wälder und Wiesen mich in einen weichen, balsamähnlichen Schal einhüllt, und ich spüre unter meinen Fingern die Sprossen rauschen, die Wurzeln sich strecken, die Blüten sich öffnen. Die Natur gibt sich mir hin, bedingungslos, bereit, auch denjenigen zu helfen, die sie nicht verdienen.
Ich lebe in Einsamkeit, aus eigener Wahl vermische ich mich mit Blättern und der jungen Bora, und bewege mich nachts. Auerhühner, Dachse und Kauze nehmen still Kenntnis von meinem Vorbeigehen, wenn ich meine Gaben an eine Türschwelle, auf eine Fensterbank, unter einen Stein lege. Kümmel, damit mehr Milch in die Brüste der Wöchnerinnen und in die Euter der Kühe schießt; Bärlauch, um Magen, Darm und Blut zu reinigen; Frauenmantel gegen Bruch und Epilepsie. Und dann Klette, Rhabarber, Bohnenkraut, Fingerhut, Johanniskraut, Arnika, Weinraute, duftender Liebstöckel, blauer Eisenhut… Ich vermische die Zutaten in ganz genauen Mengen, entlang dem Grat zwischen Leben und Sterben. Am Morgen finden diejenigen, die leiden, meine Kräuter und vergessen dann nach ihrer Genesung, wer sie ihnen gebracht hat. Aber ich strebe nicht nach Dankbarkeit. Außerdem spreche ich nur zu denjenigen, die mich hören können.
Ohne es je laut auszusprechen, nennen uns die Talbewohner Krivapete, die Frauen mit den „umgedrehten Füßen“. In ihrer Vorstellung gehen wir umgekehrt, und in gewisser Weise stimmt das auch: umgekehrt zu ihrer Normalität und ihren Spielregeln. Früher dachte ich, sie täten es aus Verachtung, dann aber habe ich begriffen: Sie haben Angst vor uns, weil sie uns weder sehen noch verstehen können. Und Angst braucht Namen, hinter denen man sich verstecken und zusammenrücken kann.  Angst nährt sich im Übrigen von verzerrten und monströsen Bildern, auf die man die eigene Schwäche projizieren kann. Hexen, Magierinnen, Zauberinnen, Krivapete. Manchmal werden wir als jung und wunderschön beschrieben, umsäumt von langem grünem Haar, während wir mit Schmetterlingsflügeln in den Lüften schweben; andere Male sind wir für sie alt und scheußlich, durch bösen Wahnsinn in der Seele und im Fleisch entstellt. Wenn sie nur wüssten, wie Freiheit aussieht…
Wie viele Männer haben sich verirrt, während sie unserer Legende auf den Spuren waren? Wie viele Ehefrauen haben um ihren vom Wald verschluckten Mann geweint? Ivan, Dušan, Pietro, Simon… ich erinnere mich an jeden einzelnen von ihnen. Hinter einem Felsen versteckt, habe ich sie ziellos umherwandern sehen, irreredend, auf der Suche nach dem ihnen noch unbekannten Weib, nach einem Mund, der ihr Verlangen stillen möge. Sie verloren sich, ohne den Weg zurück nach Hause wiederzufinden. Im Dorf haben sie Huren! gerufen, als ob das alles unsere Schuld wäre. Wie viele Dummheiten gesagt wurden. Wollt ihr wissen, wer daran schuld ist? Schuld daran sind die Unterröcke ihrer eigenen Ehefrauen, zum Teil uneinnehmbar, zum Teil in kleinen Schlücken gewährt, die jedoch den Durst nicht zu stillen vermögen. Ihr Frauen, Männer sind nichtswissend und möchten geleitet und aufgenommen werden. Die Männer müssen lernen, Euer starkes Licht zu erkennen und zu achten, aber Ihr selbst müsst es ihnen beibringen. Dazu bedarf es keiner besonderen Anstrengung: Es wird genügen, wenn Ihr wieder das tut, was Ihr wisst und nicht einfach so vergessen haben könnt. Sind einmal die Wärme Eurer Herzen und die Wogen Eurer Lenden erwacht, werden sie Euch nie mehr verlassen. Sie werden die Schatten sein und Ihr ihre Bäume.

Auf dem jungen Gras liegend, erwärmt durch die Sonne, gelb und rund wie eine Löwenzahnblüte, lausche ich dem Geräusch Deiner Schritte, während sie sich auf der noch feuchten Erde nähern. Ich gehe Dir seit Tagen aus dem Weg, während Du meinem Geruch folgst und mich suchst, wie Du es mit den Waldtieren tust. Bevor Du jene kleine Lichtung unterhalb der Bergspitze gefunden hast, das Bett aus Gras, das ich für uns vorbereitet habe, bist Du lange umhergeirrt. Ich erwarte Dich, ich flüchte nicht mehr. Deine Schritte verlangsamen sich und werden anders, weniger dreist, beinahe unsicher. Sicherlich hast Du mich gesehen, aber Du weißt nur allzu gut, dass ich eine viel stärkere Beute bin als Du, und Du hast Deinen üblichen Übermut abgestreift. Ich verharre bewegungslos unter Deinem Blick, schließe die Augen und öffne langsam die Beine. Du legst Gewehr und Hut wenige Meter von meinem erwartenden Körper ab und näherst Dich. Zwischen meinen Beinen kniend wie vor einem Altar hebst Du meinen Rock und bleibst dort, schauend. In jenen endlosen Augenblicken, während Dein Atem schwerer wird, tauchen in meinem aufgerührten Kopf ferne Bilder wieder auf, und ich sehe junge Sternennächte und reife Felder, ich höre erneut Versprechen und Geschichten auf meiner Brust, geflüstert von einer Stimme wie Deiner und nach Tabak riechend. Deine rauen Hände streifen mich mit unerwarteter Zärtlichkeit, während uralte Wogen meinen Schoß wieder aufwühlen. Wir werden nicht noch eine Gelegenheit haben. Wie lange habe ich auf Dich gewartet.

Seit ferner Zeit wache ich von meiner Höhle aus über diese unermüdlichen Täler, über den Matajur, und umarme sie wie eine Mutter. Die Wiesen werden zu Wäldern und die Wälder wieder zu Wiesen, in einem ewigen, verzauberten Kreislauf. Der Fluss Natisone schmückt sein Bett smaragdgrün und meine Sonnenuntergänge goldfarben. Wenn der Tag sich zu Ende neigt, gehen die Lichter in den Dörfern an und spannen ein zitterndes Spinngewebe über die Berge. Am Abend,  während in den Pflanzen das Leben aus den Blättern weicht und in die Wurzeln heimkehrt, steige ich in Begleitung von Füchsen zum kleinen See hinauf. Ich atme durch die Sohlen meiner nackten Füße und dann, ohne es zu merken, improvisiere ich langsame Tänze, die den Schoß der Mutter wieder erwecken. Meine weisen Schwestern gesellen sich still zu mir, wir bilden einen Kreis und nehmen uns an der Hand. Wir singen urtümliche, heilige Lieder, die, während sie aus dem Mund strömen, eine Sprache bilden, die weiß wie der Mond ist. Das Laub hält inne und die Tiere kehren still in ihre Höhlen zurück. Der Kreis schwillt an und ab, öffnet und schließt sich, schneller und schneller. Und wenn die Urmutter Gaia beginnt, erregt zu pulsieren, werfen wir unsere Köpfe nach hinten und unsere Hüften wiegen berauscht im Rhythmus des Lebens. Um mich herum entflammen Augen wie brennende Kohle die Nacht, und aufgeschwollene Lippen flüstern Worte, die nach Erde schmecken. Wirklicher denn je lächle ich und bedanke mich bei demjenigen, die mir diese Gabe gewährt hat. Denn das größte Geschenk ist es, hier sein zu dürfen.

*Verdammte, wilde Krivapete sind wir.